Gefühlschaos - Heimatbesuch
Wie ist es eigentlich, wenn man nach Monaten in Asien wieder zurück nach Deutschland kommt?




Nachhause kommen.
Ich versuche in diesem Blogbeitrag etwas meine Gefühlswelt zu beschreiben. Nach fast 7 Monaten auf Reisen, geht es für mich zurück nach Deutschland. Zwar nur für einen Monat aber das Kapitel Asien ist erst mal abgeschlossen und das macht schon viel genug mit mir. Ich habe diesen Entschluss gefasst, da ich nach der Zeit in Deutschland für längere Zeit in Australien sein werde und es von dort nicht ganz so leicht ist, für einen kurzen Besuch nach Deutschland zu kommen, was geldtechnisch aber auch zeitlich ein riesiger Aufwand wäre. Also fliege ich von Bali nach Deutschland und überrasche meine Familie und Freunde. Ein weiterer Grund ist der Geburtstag meiner Mama, denn man verpasst viele solcher Tage wenn man auf Reisen ist und ich will mir gar nicht vorstellen, wie es als Mama sein muss, sein Kind in der großen weiten Welt zu wissen und vor allem nicht zu wissen, wann man sich wiedersieht. Also hoffe ich, dass ich ihr einen unvergesslichen Geburtstag ermöglichen kann und die Überraschung glücken wird.
Aber nochmal ganz zum Anfang. Die Entscheidung fiel mir wirklich nicht leicht und ich war hin und hergerissen, ob es denn die Richtige ist. Denn ich müsste mich wieder von allen verabschieden, hätte einige Stunden Jetlag zu verarbeiten und mehrere Stunden Flug vor mir. Trotzdem überwieg der Drang meine Freunde und Familie wieder in die Arme nehmen zu können und buchte schlussendlich den Flug. Am 01.Oktober werde ich also nach Deutschland fliegen. Diese Tatsache hat mich nach der Flugbuchung so einige Gedanken gekostet und vor allem mein Körper hat darauf reagiert. Als ich den Entschluss gefasst habe, war ich bereits über 5 Monate unterwegs und hatte so einige Abenteuer und Erlebnisse zu verarbeiten. Mit dem Gedanken ein Ende in Sicht zu haben, veränderte sich der Drang viele Orte zu erkunden, jeden Tag etwas unternehmen zu müssen sondern viel mehr das ankommen, an einem Ort zu bleiben und die vielen Gedanken der letzten Monate zu verarbeiten. Es war viel. Sehr viel. Denn Reisen kann anstrengend sein. Man erlebt so viel, ist alle paar Tage woanders, trifft so viele Menschen und hat gar keine Zeit das alles zu verarbeiten, weil direkt neue Eindrücke entstehen. Ich fühle mich ausgelaugt und müde, habe irgendwie keine Motivation mehr und keine Kraft mich mit Smalltalk im Hostel zu beschäftigen. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass ich damit nicht alleine bin. Manchmal hat man diese Phasen und vor allem wenn ein Ende, in welcher Form auch immer, bevor steht. Kennt ihr das, wenn man im Urlaub krank wird, weil die ganze Anspannung von einem abfällt und man endlich etwas runterfahren kann. So fühle ich mich gerade ein bisschen. Ich versuche hier alles nochmal so richtig zu genießen, aufzusaugen und auf mich wirken zu lassen aber irgendwie fällt es mir gerade nicht sonderlich leicht.
Ich würde behaupten, das ist nur ein Bruchteil, den ich fühlen werde, wenn ich schlussendlich wirklich meine ganze Reise beenden werde und dies ist nur das kleine Warm-up davor. Ich hatte dieses Gefühl nämlich schon öfters. 6 Monate auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet - nach Hause kommen. 3 Monate mit dem Van durch Europa - nach Hause kommen. Einen Monat Backpacking durch Thailand - nach Hause kommen und nun meine kleine Pause nach fast 7 Monaten quer durch Asien. Am schlimmsten war es nach den 6 Monaten Kreuzfahrtschiff. Denn ich hatte keinen Plan, was ich zuhause machen sollte. Keinen Job und wohnte noch immer bei meinen Eltern. Nach einer so langen Zeit selbständig quer durch die Welt und raus aus dem Kinderzimmer, dann wieder zurück in das kleine Loch, zurück in das Schema, der Lisa, die ich vorher war. Es war hart, denn ich war nicht mehr dieselbe, die ich vorher war. Ich bin in diesen 6 Monaten so gewachsen, habe mich verändert und passte nicht mehr in das Bild, das jeder von mir erwartete. Bereits nach einigen Tagen viel mir die Decke auf den Kopf, ich war unglücklich und hatte keinen Sinn in diesem „normalen“ Leben gesehen. Nach einigen Tagen, ging mir das Arbeitsamt schon auf die Nerven und hat mir Unmengen Jobangebote geschickt. Ich hatte davor 6 Monate durchgearbeitet und hatte keinen freien Tag, das war dem deutschen System aber egal. Also fing ich nach nur 2 Wochen wieder an zu arbeiten und startete in der Firma meines damaligen Freundes als Bodenlegerin/Hilfsarbeiterin. So kam ich wenigsten raus, hatte wieder was zu tun und konnte weiter Geld verdienen. Meine Motivation auf eine Weltreise war hier am größten, denn das Heimkommen hat mich mit einer so großen Wucht erwischt, das hätte ich nie geglaubt.
Du fragst dich warum?
Weil man sich verändert, auch wenn man es selbst vielleicht nicht merkt. Aber durch jede Begegnung, jedes Erlebnis und die verschiedensten Kulturen, kommt einem das Leben in Deutschland total suspekt vor. Man lebt monatelang mit einem Rucksack auf den Schultern, indem man nur seine wichtigsten Sachen dabei hat. Man wird unbewusst total minimalistisch, weil alles was man hat ein Balast ist. Sieht wie andere Kulturen viel weniger besitzen und viel glücklicher sind als die meisten in Deutschland, die immer mehr und mehr wollen. Die Probleme so klein sind, wenn man an die Momente am Strand oder in kleinen armen Dörfern auf dem Land denkt. Denn die Probleme, die wir in Deutschland haben, die gibt es hier nicht. Denn hier gibt es ganz andere Probleme und kann nur den Kopf schütteln, wenn man wieder hört wie unzufrieden die Menschen zuhause sind. Man fühlt sich nicht mehr so zuhause, wie als man gegangen ist. Denn man hat sich verändert.
Und die Menschen zuhause können sich das nicht vorstellen, weil sie es nicht erlebt haben und in ihrem vorherigen Trott sind, wie als wärst du nie weg gewesen. Das Schlimmste ist, dass die meisten gar nichts dafür können. Denn sobald man wieder in diesem typischen deutschen Alltag ist, will man mehr. Man will eine schöne und große Wohnung, ein Auto, muss Karriere machen, um angesehen zu werden und so verfällt man in nur wenigen Monaten wieder in das alte Muster. Ich habe mir das immer gewünscht, dass mir der Alltag in Deutschland genug ist, dass ich mich anfreunden kann mit 25 Urlaubstagen und den freien Wochenenden, aber die Zeit im Ausland hat mir gezeigt, dass es so viel mehr gibt. Dass man nicht Karriere machen muss, um glücklich zu sein. Keine große Wohnung oder Haus braucht, um sich wohl zu fühlen. Kein Auto, um von A nach B zu kommen.
Das Einzige was mich in Deutschland hält sind meine Freunde, Familie und die Sicherheit im Alter zu haben, obwohl das bis zu meiner Rente auch nicht mehr sicher ist. Trotzdem muss ich jetzt in meinen jungen Jahren auf die Suche gehen, um eventuell eine andere Zukunft für mich aufzubauen, mich zu fragen, was ist mir wichtig und was will ich für mich und meine Zukunft. Das alles erschlägt einen, wenn man nach Deutschland zurück kommen muss. Ohne freien Willen, weil vielleicht die Arbeit wieder los geht oder der Untermieter auszieht oder man sich vielleicht nur ein Sabbatjahr genommen hat. Ich weiß, ich werde erst nach Deutschland zurück ziehen, wenn ich aus eigener Überzeugung sagen kann, dass das das Leben ist, das ich leben möchte. Und das ist der wahre Luxus heutzutage.
Als der Tag meiner Rückreise gekommen war, war ich in einem so starken Gefühlskarusell, ich wusste gar nicht was ich nicht fühlen sollte. Ich war traurig, weil ich mich auf Bali so wohl gefühlt hatte, wie in den letzten Monaten nicht und ich mich von meinen gewonnenen Freunden verabschieden musste. Ich war glücklich und dankbar all das erlebt zu haben. So viele Abenteuer und Begegnungen, die mir niemand mehr nehmen konnte. Ich war voller Vorfreude, weil ich meine Freunde und Familie wieder in den Armen halten konnte. Ich hatte Angst vor all den Eindrücken in Deutschland. Dem Kulturschock, der mir bevorstehen würde.


Diese Worte habe ich im Flugzeug geschrieben:
Ich befinde mich im Landeanflug. Nach über einem halben Jahr geht es zurück nach Deutschland. Die Wolken bedecken noch den Großteil und ich werde Stück für Stück auf den Moment vorbereitet, gleich im kalten Deutschland zu sein. Den ganzen Flug über wurde ich von verschiedensten Wellen überrollt. Die Vorfreude alle wieder zu sehen. Die Trauer, das Kapitel Asien abzuschließen. Die Angst, nicht bereit dafür zu sein nach hause zu kommen. Und ganz viel Dankbarkeit, für all das was ich erleben durfte.
Aber ich weiß auch, dass es nur ein Monat sein wird bis es wieder weiter geht. Und ich im Moment auch noch nicht bereit dafür bin wieder so ganz nach Deutschland zu kommen. In Deutschland zu leben. Dafür hab ich die letzten Monate zu viel Lebensfreude empfunden, um das wieder in ein Alltagsleben einzutauschen.
Ich schließe die Augen, habe Musik auf den Ohren und denke an all die Erlebnisse und Abenteuer der letzten Monate, die jetzt nur noch Erinnerung sind. Dankbar für jeden einzelnen davon.
Als ich dann bei meiner Freundin in München alleine in der Wohnung stand, hat es mich mit voller Wucht erwischt. Mir liefen einfach die Tränen runter. Ich konnte es nicht mehr zurück halten. In diesem Moment fiel eine Last in mir ab, die sich in den letzten Tagen immer mehr und mehr aufgebaut hatte. Mir wurde so stark bewusst, wie dankbar ich für die letzten Monate war, was ich alles erlebt hatte und dass es nun nur noch Erinnerungen waren. Es fühlte sich an wie ein Traum, ein Wimpernschlag, der nun vorüber ist. Es fühlte sich eher an wie ein zweiwöchiger Urlaub, anstatt einem halben Jahr. Ich war total überfordert.
Ein Spaziergang im Park, hat mich dann wieder ein bisschen entspannt aber der Moment, als ich noch kurz im Supermarkt war, machte alles wieder zu Nichte. Ein Mann, der die Geschäftsleitung rufen lies, weil er 10 Minuten an der Kasse anstehen musste und sich beschwert hatte, hat mir wieder gezeigt, dass ich hier in diese deutsche Welt gerade einfach nicht reinpasse. Wenn ich frage, was es neues gibt und die Themen nur andere Menschen betreffen. Weil jeder denkt, er muss über das Leben anderer urteilen und sich seine Meinung darüber zerreißen, weil das eigene Leben nicht mehr zu bieten hat. Das sind die Situationen, wo man merkt, dass man sich selbst verändert hat aber hier alles gleich geblieben ist.
Was ich damit sagen will ist, dass mich das Reisen verändert hat. Und ich würde sagen ins Positive. Vor allem das Alleinreisen. Denn ich habe in dem letzten halben Jahr gelernt, was es heißt auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. Zu sich selbst zu finden und rauszufinden, wer man eigentlich wirklich ist. Ich bin ein Mensch, ich schaue immer zuerst auf alle anderen, auf die Menschen um mich herum, anstatt an mich zu denken. In einer Beziehung war ich immer die Person, die sich hinten angestellt hat. Hauptsache allen anderen geht es gut. Aber wenn du über Wochen nur das machst, auf was du Lust hast. In dich hinein hörst, was deine Gefühle sagen und zu realisieren was dich ausmacht, was dich zum Lächeln bringt und was du für dein Leben brauchst. Verändert das deinen kompletten Blickwinkel um 180 Grad. Und das wird einem auch erst wieder Zuhause so richtig bewusst.

